Politische Kultur im Kemmerner Gemeinderat?

Die letzte Sitzung des Kemmerner Gemeinderats fand am 27.08.2020 Corona-bedingt wieder im Schulungsraum der Feuerwehr statt. Das Protokoll zu den einzelnen Tagesordnungspunkten wird im Nachgang noch im Amtsblatt veröffentlicht werden, so dass ich nicht alle Beschlüsse einzeln aufführe.

Allerdings empfiehlt es sich, die Protokolle kritisch zu lesen. Warum? Ein Protokoll sollte eigentlich ein neutrales Dokument sein. In der Politik ist das leider nicht immer so. Ein Beispiel: Um die Nachvollziehbarkeit der Sitzung vom 23.07. zu erleichtern, habe ich gebeten, das Protokoll bei einem Antrag (im Zusammenhang mit der Sanierung der Schulturnhalle) um einen Halbsatz zu ergänzen. Im vorgeschlagenen Protokoll stand: „GRM Dr. Dorsch stellte den Antrag zur Geschäftsordnung, eine Beschlussfassung zum weiteren Vorgehen zurückzustellen.“
Es war aber keinesfalls mein Anliegen, eine Entscheidung einfach aufzuschieben. Vielmehr ging es darum, im Vorfeld einen Kostenvergleich Sanierung – Neubau zu ziehen. Dies hatte ich in der betreffenden Sitzung auch so dargelegt. Deshalb habe ich vorgeschlagen, folgenden Halbsatz zu ergänzen: …, „bis eine Kostenschätzung für einen möglichen Neubau vorliegt“.

Ich persönlich glaube, dass ein Neubau aufgrund der Kosten wohl leider nicht realisierbar sein wird. Allerdings liegen hierzu keinerlei belastbare Berechnungen vor. Und die vorwiegend energetische, jetzt teils aber auch bauliche Sanierung wird doch erheblich teurer als zum Zeitpunkt des ursprünglichen Beschlusses vom Architekten berechnet.

Worum es aber eigentlich geht: Die vom Bürgermeister geführte Mehrheit aus CSU, Bürgerblock und SPD hat die vorgeschlagene Ergänzung des Protokolls ohne Begründung geschlossen abgelehnt [straffe Disziplin, kein Mut zur eigenen Meinung bei den Kolleg*innen?], obwohl der Antrag von mir eindeutig mit der oben beschriebenen Absicht gestellt wurde. Es waren am 23.07. übrigens zahlreiche Zuhörer*innen anwesend.

Über Sachthemen muss man diskutieren (manchmal auch streiten) und dann per Mehrheitsbeschluss abstimmen. Über Sitzungsverläufe kann man eigentlich nicht abstimmen. Man sollte diese wahrheitsgemäß und nachvollziehbar wiedergeben. Hier Mehrheiten zu nutzen, um Protokolle (zum eigenen Vorteil oder zum vermeintlichen Nachteil anderer) zu beeinflussen, wirft Fragen zur politischen Kultur (und darüber hinaus) auf.

Bereits in der letzten Wahlperiode wurden Stellungnahmen offizieller Stellen, die Anträge von mir unterstützt haben, mit Hilfe der Mehrheit aus dem Protokoll entfernt. Den besten Eindruck gewinnt man als Bürger*in, wenn man sich Sitzungen ab und an selbst anhört. Ich unterstütze deshalb ausdrücklich die Einladungen der Gemeinde zu den Sitzungen des Gemeinderats! Wundern Sie / Wundert euch bitte nicht über diese umständliche Formulierung. Unser zweiter Bürgermeister weist gerne und häufig (mit angestrengten Attacken auf die Kollegen von ZfK) darauf hin, dass nur die Gemeinde zu den Sitzungen einladen darf. Dem möchte ich natürlich Rechnung tragen! Welcher Sinn hinter seinen Einwänden steht, bleibt (mir zumindest) rätselhaft.

Ich kann Ihnen umgekehrt als stellvertretender Fraktionsvorsitzender von ZfK / Bündnis 90-Die Grünen jedenfalls versichern, dass von unserer Seite Zuhörer(innen) bei den Sitzungen sehr willkommen sind. Wir stehen als Fraktion weiter für eine sachbezogene Auseinandersetzung zum Wohl von Kemmern. Das Vertreten eigener, manchmal auch unbequemer Positionen ist eine Voraussetzung für eine Weiterentwicklung der Gemeinde. Das gilt vor allem für die Zeit nach einer Wahl.

Während andere Gemeinden trotz Corona längst wieder Sitzungen abhielten, gab es in Kemmern ein sehr lange Pause. Eine dahingehende Anfrage beantwortete BGM Rüdiger Gerst lapidar damit, dass „andere Gemeinden kein Maßstab sind“ (Protokoll der Sitzung vom 23.07.20). Diese Position sollte man vielleicht überdenken. In Kemmern liegt Ende August noch kein Haushalt für das aktuelle Jahr 2020 vor …

Oliver Dorsch, Kemmern, 28.08.2020

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Ein Kommentar

  1. ja, ja, wer einen Vorgang erfassen kann und das in eine Niederschrift formulieren kann, ist schon eine Seltenheit.
    In Kemmern findet man so einen Könner leider nicht.